DAS LEADAWARDS SYMPOSIUM
Anzeigen-Trends 2005No Words – Die Folgen von Pisa für die Werbung
Vortrag von Prof.
Peter Wippermann anlässlich des LeadAwards-Symposiums
2005
Was ist innovativ? Wer hat die besten Ideen realisiert? Welche Trends lassen sich im Bereich der Anzeigen aufspüren? Diese Fragen stellte sich, wie jedes Jahr, die Jury der LeadAcademy. Tausende von Printanzeigen galt es auch dieses Jahr zu bewerten und auszuzeichnen, ausschließlich vor dem Hintergrund besonderer Kreativität.
Im Gegensatz zu vielen anderen Verleihungen in der Kreativbranche, können bei den LeadAwards keine Arbeiten eingereicht werden. Die Auswahl erfolgt allein durch die Sichtung eines kompletten Jahrganges von über hundert Zeitschriften. Eine Vorjury der LeadAcademy trifft eine erste Auswahl und legt diese dann der prominent besetzten Hauptjury vor. Ihre Aufgabe ist es, herausragende und einzigartige Ideen auszuzeichnen und dadurch Innovationen zu fördern.
Die Sichtung und die Auszeichnungen in den fünf Kategorien „Kampagne des Jahres“, „Anzeige des Jahres“, „Beste Art Direktion“, „Bester Text“ und „Beste Verwendung von Fotografie“ sollen nicht nur Kreative zu weiteren außergewöhnlichen Arbeiten anspornen, sondern auch aktuelle Trends der Anzeigenlandschaft aufzeigen. Anzeigen können nur dann erfolgreich sein, wenn sie die geheimen Wünsche und Sehnsüchte der Gesellschaft aufgreifen und kreativ umsetzen. Somit lassen Motive und gestalterische Muster in den Anzeigen auch Interpretationen über die innere Lage der Konsumkultur zu. Voraussetzung ist, man versteht die Sprache der Bilder und verfolgt sie in die Bedeutungstiefe des vermeintlich Oberflächlichen. Zu diesem Verstehen verhilft die Semiotik, die Wissenschaft von den Zeichen und deren Bedeutung.
I/1. Die Apple iPod-Kampagne „Silhouettes“
Die Sehnsucht nach Einfachheit ist kennzeichnend für den Alltag in
den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, und Ratgeber wie „Simplify
your life“ halten sich exemplarisch seit Monaten in den Bestsellerlisten.
Das Leben ist komplexer geworden. Wir müssen uns daran gewöhnen,
in zwei Wirklichkeiten zu existieren. Die erste Wirklichkeit der Biologie
und Physik erscheint uns als natürlich und vertraut, während die
zweite, unsichtbare Wirklichkeit des virtuellen Raums uns noch immer
fremd ist.
Das bekam auch die Musikbranche zu spüren, als sie feststellen musste, dass sie von der Komplexität der MP3-Files scheinbar nichts versteht. Junge Konsumenten nutzten das Internet, um untereinander Musik zu tauschen. Das war illegal, aber anstatt einfach neue Angebote zu machen, denunzierte die Musikindustrie sie als Kriminelle. Erst die Computerindustrie erkannte die fehlende Alternative im Netz. Apple brachte schließlich das Einfache in die Welt der Internet-Musikbörsen zurück. Der Apple iPod schaffte einen neuen Zugang zur Musik. Sein triumphaler Erfolg wurde außerdem durch die einfache Bedienung und Menüführung möglich. Das Kultobjekt bietet minimalistischen Glamour, der seine Anleihen am Design à la Dieter Rams bewusst betont.
Als Kampagne des Jahres wurde die iPod-Kampagne als klarer Sieger von der Jury gewählt. Ihr ist es hervorragend gelungen, die Kernidee des Kultobjektes plakativ zu visualisieren. Das Gesamtbild vermittelt gefühlte Popmusik und Dancefloor-Atmosphäre. Die grafische Technik des zweidimensionalen Schattenspiels der iPod-Kampagne anonymisiert die Tänzer. Jeder kann sich mit ihnen identifizieren. Das Schattenspiel vor farbigem Licht erinnert an Diskotheken und drückt in seiner Bewegung das Lebensgefühl der 70er Jahre aus. Diese Zeitinsel steht heute global für Jugendlichkeit.
Die stilistischen Mittel – schwarze Schatten vor einer hell strahlenden Pop-Art-Farbe – sind Retrodesign. Che Guevaras Porträt, aufgedruckt auf Fahnen und Jacken oder aufgemalt auf die Raufasertapete des Jugendzimmers der 70er, dient dafür als Vorbild. Aber auch der Film kommt dieser Bildidee zu Ehren, wie beispielsweise in den berühmten Vorspännen klassischer James-Bond-Filme. Das getanzte Schattenspiel der Bondgirls führt die Hauptmotive des Films und die Titelmelodie ein.
Mit der Anonymität der Silhouetten visualisiert sich auch ein wesentliches Prinzip des Musikhörens mit dem iPod. Die selbstvergessenen Tänzer tanzen mit sich selbst. Früher diente der eigene Musikgeschmack noch der Gruppenbildung und der sozialen Abgrenzung. Bei den Gettoblastern war eine demonstrative Ausweisqualität nicht zu überhören. Bei mehr als 10.000 Titeln, welche der iPod erfasst, ist eine Auswahl oder Beschränkung beim Musikgeschmack gar nicht mehr notwendig. Im Zufallsprinzip wählt der MP3 Player aus und kombiniert alles mit allem. So tanzt man nicht mehr mit anderen. Vielleicht tanzt man nicht einmal mehr mit sich selbst, sondern mit dem Web und seinem Kultobjekt, dem iPod.
Übrigens ist die Headline wortlos einfach: Apple-Logo und Warenzeichen des iPods. Der Copytext kommt mit achtzig Anschlägen aus.
I/2. Die WMF-Anzeige „Schärfer als man denkt“
Die Folgen von PISA verlagern in der Anzeigenwerbung das Spannungsfeld zwischen
Text und Bild. War das Lesen bisher Voraussetzung, um die Anzeigen verstehen
zu können, sprechen jetzt die Anzeigenbilder für sich selbst. Bilder
erklären wieder die Welt. Diese alte Tradition der Aufklärungsbilder
feiert Auferstehung. Wir erinnern uns, am Anfang war das Wort, aber ohne
Altarbilder wäre eine Verbreitung des christlichen Glaubens nicht so
erfolgreich verlaufen. Auch die russischen Revolutionäre nutzten die
Bildtafeln des Malers Majakowski, um die Sehnsüchte der Analphabeten
auf die Segnungen des Kommunismus zu steigern. Auch die besten lateinamerikanischen
Kampagnen arbeiten mit diesem Prinzip. Jetzt werden Bildgeschichten in Deutschland
populär.
Als beste Anzeige des Jahres wurde „Schärfer als man denkt“ von WMF ausgezeichnet. Hier triumphiert das Bild: Perfektion trifft auf Surrealismus. Zwar nimmt die Lust am Lesen ab, doch das Interesse an einer guten Story steigt kontinuierlich an. Der WMF-Anzeige ist es gelungen, eine solch spannende Geschichte zu erzählen. Ein Fetisch der Kochkunst, ein wahres „High-End-Messer“, setzt sich hier dramatisch in Szene. Das Motiv der Anzeige, die Schnittigkeit und Schärfe einer neuen Messergeneration, vermeidet den Kontext ihrer eigentlichen Bestimmung, nämlich den von Küche und Küchenarbeit. Das Messer wird dem Betrachter auch dank der Fliege augenzwinkernd als Wert an und für sich vor Augen geführt. Was vielleicht nicht einmal so falsch ist. Hat das Messer in einer modernen Mikrowellenküche seine Bedeutung als Gebrauchsgegenstand doch fast verloren. Vielleicht auch aufgrund dieses Verlustes folgt die neue Ikonographie des Messers in der WMF-Anzeige derjenigen des heute überflüssigen Samurai-Schwertes und kehrt in die Mythen unseres Alltags als bloßes Dekorationsstück und Symbol à la "Kill Bill" zurück. Der Mythos jahrtausendealter japanischer Schmiedekunst wird implizit beschworen. Ein Messer, so edel wie handgeschmiedet. Die Erzählungen berichten, dass japanische Klingen wie ein Dialog seien – sie müssten außen hart, aber innen gleichzeitig auch weich sein. Diese Fähigkeit wird in der WMF-Anzeige versinnbildlicht.
Die Bedeutung des Wortes Entscheidung entspringt dem Umstand, dass ein Schwert aus der Scheide gezogen wird (ent-scheiden). Das Urteil lautete Leben für den Kämpfer, Tod dem Gegner. Diese Interpretation wird in der WMF Anzeige revidiert. Das Messer liegt augenscheinlich in einer friedlichen, inaktiven Position, die Klinge nach oben. Es passiert nichts. Eine Fliege scheint diese Ruhe falsch interpretiert zu haben. Statt einer gefahrlosen Landung auf Messersschneide, passiert ein entsetzliches Unglück. Das eigene Körpergewicht zerschneidet das Tier. Tod. Zwei Hälften fallen rücklings auf den Boden. Nur eine kleine Blutspur auf der Klinge erinnert an das Drama. Das WMF-Messer schneidet wie von selbst. Was zu beweisen war.
Übrigens ist die Headline in die Copyzeile integriert. Die 67 Anschläge Text werden mit dem Firmenlogo WMF besiegelt.
I/3. Die Diesel-Kampagne „Nature-Love it while it lasts“
Das Älteste in der Mode ist die Mode der letzten Saison. Dieses Dogma
hat sich die Modemarke DIESEL zu Eigen gemacht. Überraschend, irritierend
und faszinierend, aber vor allem anders als die eigene werbliche Kommunikation
des letzten Jahres, ist ihre Strategie. „Wir sind keine Marketingzielgruppe“ – dieser
Glaubenssatz der DIESEL-Gemeinde wurde im letzten Jahr noch mit einem
furiosen Abgesang auf die Marktforschung ironisiert.
Das große Thema des Marketing 2003 war „Liebe“. McDonalds behauptete „I love it“, Mini romantisierte „Is it Love?“ und VW entdeckte die „Liebe zum Automobil“.
Auf diese Liebesgesänge konterte DIESEL 2004 und rief die Dämonen der Lust in das Paradies der Liebe. Das überzeugte die Jury.
Als beste Art Direktion wurde die Kampagne „Nature“ von DIESEL ausgezeichnet. Sie setzt sich kreativ und unterhaltend mit der Frage auseinander „Gibt es die Liebe überhaupt? Und wenn ja, in welcher Form?“ Bei der dramatisch zunehmenden Singelisierung aller westlich geprägten Konsumgesellschaften hat inzwischen jeder verstanden, dass Liebe und Sexualität zwei verschiedene Dinge sind. Man liebt zuviel oder nie ganz. Dieses Wechselspiel der Gefühle erfährt eine beachtliche kreative Neuinterpretation, die weder negativ moralisierend, noch positiv idealisierend dargestellt wird.
DIESEL inszeniert das Thema nach einer Vorlage des niederländischen Malers Hieronymus Bosch (1450-1516). In seinem Gemälde „Der Garten der Lüste“ prangerte er den sittlichen Verfall im ausklingenden Mittelalter an. Die Zeit des Umbruchs wurde von ihm symbolhaft und verschlüsselt kritisiert. So war zum Beispiel der Dudelsack eine Anspielung auf die Todsünde „Wollust“. Auch die DIESEL-Anzeige spielt mehr mit dem was sie versteckt, als was sie zeigt. Das Bondage-Thema des DIESEL-Motivs ist leicht als Neuinterpretation des Dudelsacks von Bosch zu erkennen.
Die zentrale Anzeige der DIESEL-Kampagne ist aufgebaut wie ein historisches Altarbild. Der geschlossene Folder zeigt die Schönheit der Natur. Die Quellen des Lebens füllen einen Urwaldsee. Menschen sind aus diesem Paradies verbannt. Öffnet man die Klappen, beginnt das Abenteuer der Gefühle auf einem vierseitigen Mittelbild. Mädchen und Jungen, natürlich in DIESEL-Kleidung, spielen ihr laszives Spiel. Vom narzisstischen Jungbrunnen bis zum masochistischen Bondage wird gezeigt, dass der totale Anspruch auf Sex besessen machen kann. Mit der Romantik der Mainstream-Werbung von 2003 hat das alles nichts mehr zu tun. Im Garten Eden gibt es zwar keine Konkurrenz, aber auch keine Gemeinsamkeiten mehr. Hinter den paradiesischen Kulissen des Glücks gibt es einen Abgrund – die konsequente Abwesenheit von Partnern. Hier triumphiert allein die orgiastische Eigenliebe der selbstvergessenen Egophilen.
Übrigens beschränkt sich der Textbeitrag dieser sechsseitigen Anzeige auf ein (1!) Textfeld im Format 59 x 41 mm, mit DIESEL-Logo, der Spezifikation „Nature“ und 101 Anschlägen Lauftext.
I/4. Die E-Bay-Kampagne „Drei, zwei, eins, meins“Neue Kommunikationstechnologien wie SMS und Email, sowie die Globalisierung mit dem Triumph des Englischen im Berufsalltag, haben unseren Umgang mit der deutschen Sprache dramatisch verändert. Während sich die Deutschlehrer kopfschüttelnd über die PISA-Ergebnisse ereifern, die Bildungspolitiker die Klassen größer, aber die Finanzen kleiner als jemals zuvor bemessen, hat die Werbung Kreativität im Umgang mit der Sprache bewiesen. Die Wiederentdeckung der frühkindlichen Spracherfahrung schafft eine neue emotionale Aufmerksamkeit beim Lesen. Codieren und Symbolisieren sind für die Netzwerkkinder vertraute Kulturtechniken, und die Marketingkommunikation reagiert darauf.
Als bester Text wurde die Kampagne „3... 2... 1... meins!“ von eBay ausgezeichnet. Sie setzt neue Maßstäbe für das Auf- und Erzählen: Sport trifft auf Krabbelgruppe.
Fangen wir mit dem Sport an. Die numerische Reihung der Siegertreppen Bronze, Silber und Gold und der Countdown des Glücks „3... 2... 1...“, gibt die Stimmung einer in globaler Wettkampflaune befindlichen Gesellschaft bestens wieder. Wenn sich die kollektiven Sicherheitsangebote des Staates auflösen und eine neue „Arme Mitte“ entsteht, macht eigener Erfolg glücklich. Der Neid der Mitstreiter schafft Selbstbestätigung. Bei eBay ist jeder Sieger.
Und wer schon bis drei zählen kann, beginnt auch für Eigentum sensibel zu sein. Der Stolz des Besitzens ist vital mit den ersten Erfahrungen der deutschen Sprache verbunden. Damit kommen wir zur Krabbelgruppe. So etwa mit zehn Monaten, sobald man das erste Wort „Mama“ fließend über die Lippen bekommt, gibt das Personal Pronomen „meins“ unerschütterliches Selbstvertrauen in die eigene Existenz. Das Spiel „Ich habe was, was du nicht hast“ wird gern bis ins hohe Alter weiter gespielt. Dem Text der eBay-Kampagne ist es gelungen, diesen klassisch gebauten Satz deutscher Sprache zurückzuführen auf ein Wort – „meins“. Der ursprüngliche Siegesausbruch, der die ersten Schritte ins eigene Leben manifestiert, ist Programm. Die eBay-Kampagne beschreibt damit die Leichtigkeit des Internetangebots. Jeder kann es, jeder ist ein geborener Insider der eBay-Welt, jeder hat ein Recht auf eine siegreiche Kindheit.
Ob Tochter, Mutter oder Oma, Vater, Sohn oder Sonderschullehrerin, alle kommen in der eBay-Kampagne vor. Intergeneratives Marketing für Internetangebote muss versuchen, die unterschiedlichen medialen Prägungen der Generationen zu überbrücken. Wer mit Transistorradio und Fernsehen, mit Personalcomputern und Videos, oder mit dem Internet und MP3-Playern groß geworden ist, hat ganz unterschiedliche mediale Erfolgserlebnisse. Begeisterungsrufe werden in der Jugend gelernt und halten meist ein Leben lang. Ob fett, cool oder klasse, macht einen Unterschied, der einen Unterschied macht. Deshalb ist es eine strategische Klugheit, die Gemeinsamkeiten der Generationen in der frühkindlichen Sprachbildung zu suchen. Man kann gar nicht so doof sein, dass man „meins“ nicht geil findet.
Übrigens sagen Bilder zwar mehr als tausend Worte, aber erst das Erzählen und Aufzählen macht Bilder effizienter. Die Interpretation des Betrachters wird fokussiert, die Wirkung potenziert. Nur zur Erinnerung.
I/5. Die Helmut-Lang-Kampagne „Backstage“Nähe schafft Emotionen! Gefühle verkaufen! Diese klare Haltung in der Bildsprache hat die Identität der Modemarke HELMUT LANG geprägt. Der Modedesigner Helmut Lang und der Fotograf Jürgen Teller bezogen eine eigenständige Position in der aktuellen Modefotografie. Sie widersprechen der These, dass Modebilder rhetorisch über eine rituelle Distanz funktionieren müssen. Die Künstlichkeit in den Gesten der Modelle zielt üblicherweise darauf ab, jede emotionale Reaktion oder direkte Teilnahme der Betrachter auszuschließen. Diese Zurückweisung soll den nach Prestige strebenden Konsumenten herausfordern, zu kaufen. Anders das Kreativduo. In ihren Arbeiten wird der Betrachter zum Teilnehmer an der Aufnahmesituation. Sie versuchen stets, Kunst und Kommerz zu verbinden. Die Authentizität der Bildwelten steht dabei immer im Mittelpunkt. Ihre Haltung hat sich über Jahre hinweg radikalisiert. Durch das Ausscheiden von Helmut Lang aus seinem eigenen Modelabel markiert die Kampagne „Backstage Paris“ nicht nur den intensivsten Höhepunkt sondern auch das plötzliche Ende dieser Zusammenarbeit.
Nach einer ersten Orientierung, die eher über den Markennamen HELMUT LANG als über die Bildmotive von Jürgen Teller gelingt, erklären sich die Anzeigenbilder der Backstage-Kampagne als Schnappschuss-Fotografien. Der niedere Fotografen-Standpunkt und das knappe Blitzlicht lassen an eine kleine Digitalkamera denken, die aus der Hüfte ausgelöst wird. Eine Verbindung zu Amateur- oder Paparazzi-Bildern ist sicher nicht ungewollt. Teller liefert bewusst Antibilder zur klassischen Glamour- und Modefotografie. Die Hektik des Geschehens in den Gängen hinter der Bühne, der Suchende und das eigentliche Motiv, der verfehlende Blick, sind dem Authentischen und Dokumentarischen verpflichtet. Auch der Markenname HELMUT LANG und der Code, der die Show bezeichnet, wirken bildsprachlich wie zur Beweissicherung eingestempelt.
Jürgen Tellers Backstage-Motive vermitteln die Anonymität einer Modenschau hinter den Kulissen. Der Fotograf, obwohl er dicht am Geschehen ist, wird ignoriert oder gar nicht bemerkt. Die abgeschnittenen Köpfe dokumentieren, dass er vielleicht auch nicht wahrgenommen werden möchte. Man könnte an Zufallsbilder von Überwachungs- oder Web-Kameras denken, die verbotenerweise hinter der Bühne installiert wurden. Geht es um Spionage? Über solche Gedankenketten und Bildgeschichten, die Teller in seinen Modeanzeigen immer wieder gelingen, erhalten seine Bilder Wichtigkeit und Aufmerksamkeit. Was wird hier eigentlich gezeigt? Der Betrachter ist aufgerufen, das eigentliche Motiv, wie in Michelangelo Antonionis berühmtem Film „Blow up“ von 1966 zu suchen. Auch in diesem Film ist es ein Modefotograf, der über die Distanz und Beiläufigkeit seiner Fotos verdeckte Geschehnisse offen legt, und auf die Spur eines Mordes aufmerksam wird.
In einer zweiten Kampagne fotografiert Jürgen Teller die Brustwarzen der Models Ryan und Mark. Mit diesem Bildausschnitt, der nicht das Gesicht, sondern in einem Close-up nur den angeschnittenen Oberkörper abbildet, zeichnet Teller im übertragenen Sinn das spezielle Design dieser Wäschestücke nach. Sie lassen genau diesen Teil des Körpers – die Brustwarze – frei und spielen mit einem Fetischkontext. Der Plot zu diesen Fotos führt in das zwanghafte Milieu einer sehr speziellen Obsession.
Übrigens ist neben dem Markennamen HELMUT LANG als Headline nur ein Quellenhinweis auf das Foto und den Fotografen sowie die Internetadresse des Unternehmens als Copytext zu finden.
II/1. Abverkauf statt Image
Auf der Liste der Werbetreibenden rangieren 2004
die Handelsmarken vor den reinen Produktmarken. Der Handel hat den deutschen
Werbemarkt auch im vergangenen Jahr wieder maßgeblich angeschoben. Lebensmitteldiscounter wie Aldi
und Lidl, Technik-Märkte wie Saturn und Media Markt, haben ihre Ausgaben
erneut massiv gesteigert und damit den Trend zu kurzfristiger Werbung verstärkt.
Laut der Fachzeitschrift „Media & Marketing“ testet das Handelsunternehmen Lidl bereits Fernsehwerbung in Nordrhein-Westfalen. Beworben werden hierbei nicht mehr das Unternehmen, sondern direkt die Produkte. Die Werbung soll einen gezielten Abverkauf fördern und nicht nur Image oder Marke des Unternehmens unterstreichen. Diese kurzfristige, auf Abverkauf ausgerichtete Werbung löst nach Ansicht von Ludger Vornhusen, Geschäftsführer der Nielsen Media Research GmbH, die „markenbildende Werbung als wichtigste Werbeform endgültig ab“.
Diese Entwicklung zeigt sich neuerdings nicht nur im Handel, sondern auch bei den Markenartiklern. So wurde beispielsweise im Automarkt die Imagewerbung der Hersteller um 30 Prozent zugunsten der Werbung für neue PKW-Modelle reduziert, ermittelt Nielsen. Bei der Telekommunikation sank die Imagewerbung um 50 Prozent, gleichzeitig wurde die Werbung für Telekommunikationstarife deutlich erhöht. Aktuelles Beispiel für diesen Trend ist auch die Deutsche Bahn, die ihre Imagewerbung gestoppt hat und jetzt mit Angeboten für bestimmte Strecken wirbt.
Generell gibt es bei Dienstleistungen eine signifikante Änderung: Klassische Werbung steht nicht mehr an erster Stelle der abgefragten Marketing-Dienstleistungen. Marketingberatung konnte sich mit 56 Prozent auf Platz eins schieben, gefolgt von Verkaufsförderung mit 55 Prozent. Klassische Werbung folgt mit 54 Prozent erst an dritter Stelle. Abverkauf statt Image heißt also der neue Schlachtruf der Werbebranche.
Ist damit das Ende reiner Imagewerbung markiert? Nicht ganz. Es gibt sie noch, allerdings erst auf den zweiten Blick. Das Image wird nicht mehr über das Unternehmen definiert, sondern über die angebotenen Produkte des Unternehmens. Form, Farbe, Funktion, Design und alles andere, was das Produkt ausmacht, werden als direkte Vermittlung des Unternehmens-Images verwendet. Image ist nicht mehr reine Philosophie, sondern hat sich materialisiert. Die produzierten Waren sind die neuen Werbeträger geworden.
II/2. Softnews
statt PR
Früher war die Welt des Journalismus noch in Ordnung: Das redaktionelle
Angebot war stets wichtiger als die Anzeigen. Auch werbliche Sonderformate
mussten sich den journalistischen Beiträgen unterordnen.
Am 4. August 2001 erlebte der deutsche Anzeigenmarkt jedoch eine Revolution. Die Titelseite der Tageszeitung „Die Welt“ wurde an diesem Tag nicht wie gewohnt auf weißem Papier gedruckt, sondern in Blau, der Hausfarbe von AOL eingefärbt. Eine Sonderbeilage, ebenfalls auf blauem Hintergrund, berichtete über das AOL-Sport-Sponsoring und über die neue AOL-Arena in Hamburg.
Die wirkliche Revolution geschah dann am 12. November 2004 im Berliner „Tagesspiegel“. Die renommierte liberale Tageszeitung erschien statt mit normaler Titelseite mit einer seitenfüllenden Werbeanzeige direkt unter dem Titelkopf des Blattes. Darauf abgebildet war der Modedesigner Karl Lagerfeld mit seiner Kollektion, die er exklusiv für das Discount-Modehaus „H&M“ entworfen hatte. Wie ein Umschlag war die Anzeige um die Zeitung gelegt und bestand im Ganzen aus insgesamt vier Werbeanzeigen. Die Käufer wurden also mit Werbung gelockt, um die Redaktion zu kaufen. Eine neue Epoche der Printmedien begann.
Das Beispiel des „Tagesspiegel“ fand schnell Nachahmer. Das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ brachte 2004 ein Heft heraus, das die neue iPod-Werbung als eine Art Umschlag verwendete. Der Titel war wie die Rückseite der Anzeige einfach rosa.
Die rosa Brille der Sonderwerbeformen setzt aktuell auch der „Playboy“ auf. Das zweite Heft des Jahres 2005 zierte drei Mitarbeiterinnen des Elektronik-Kaufhauses Media Markt. Mit dem Versprechen „Wir sind doch nicht blöd! Wir ziehen uns aus – Zehn Media-Markt-Frauen zeigen ihre Schnäppchen“ zeigte das Männermagazin nackte Tatsachen in ästhetischer Kombination mit Staubsaugern und Kaffeemaschinen. Verkaufsfördernd für den Anzeigenkunden und das Heft wurde das Thema „Deutschlands zehn schönste Media-Markt-Mitarbeiterinnen“, ein überragender medienübergreifender PR-Erfolg. Wer, wie die Anzeigenabteilungen, bezahlte Aufmerksamkeit anbietet, wird zukünftig auch Gesprächsstoff mitliefern müssen.
II/3. Klasse statt MasseDie Steigerungslogik des Marktes hat ausgedient. Das gilt für die Konsumenten, die ein größeres Warenüberangebot zunehmend als Belästigung empfinden, als auch für Leser und Anzeigenkunden, die in der Titelflut der Magazine zu ertrinken drohen. Jetzt melden zum ersten mal Unternehmen, dass sie vor der nahezu unendlichen Auswahl an Kreativagenturen kapitulieren und Blindflüge nicht mehr bezahlen wollen. Die Konsumenten haben sich bereits an Rankings gewöhnt, um sichere Entscheidungen fällen zu können. Werbetreibende Unternehmen nutzen bis jetzt nur den Pitch, bei dem die Agenturen um die Gunst der Budgets konkurrieren, um Entscheidungen für eine Agenturpartnerschaft zu fällen.
Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Procter & Gamble hat als einer der größten globalen Marketer zusammen mit dem „Cincinnati Consulting Consortium“ ein Programm entwickelt, das die unzähligen Werbeagenturen nach ihrer Kreativität rankt. Indikator des Rankings sind die Kreativ-Auszeichnungen, die Agenturen für ihre Kampagnen gewonnen haben. Wer mehr Medaillen hat als die Konkurrenz, hat Anspruch auf ein höheres Plätzchen auf der „Skala der Kreativität“. Die Aussichten auf Aufträge nimmt automatisch zu. Die Kreativen bekommen von den Unternehmensberatern ein Gütesiegel verpasst. Was zählt, sind nicht mehr allein die individuelle Einschätzung des Marketingdirektors der kreativen Leistungen, sondern die Auszeichnungen bei den verschiedenen internationalen Preisverleihungen.
Die Studenten richten sich mittlerweile wie selbstverständlich nach dem Uni-Ranking in „Spiegel“ und „Stern“, um den geeigneten Studienplatz für sich auszuwählen. Auch die Unternehmen werden wohl bald ein solches Ranking in den Händen gehalten haben, bevor sie eine Agentur überhaupt zu einem Pitch einladen. Deutschland, das Vergleicherland.
Noch einen Schritt weiter beim Ranken geht das Essener Unternehmen RAG. Mit dem Ziel, sich einen besseren Überblick über die Preise für Kreativleistungen zu verschaffen, hat das Unternehmen zusammen mit der Unternehmensberatung A.T. Kearney eine Online-Auktion entwickelt, die das Preis-Leistungsverhältnis der Agenturen in einer Art Ampelsystem widerspiegeln soll. Die Werbeagenturen geben bei den Online-Auktionen die Kosten für die einzelnen Posten wie z.B. Anzeigen, Broschüren und Geschäftsberichte an. Über eine Farbgebung, die der einer Ampel gleicht, kann nun ein Vergleich zu den Wettbewerbern gezogen werden; Grün signalisiert ein „wettbewerbsgerechtes“ Angebot, Gelb steht für einen über dem Durchschnitt liegenden Preis, und Rot für einen Preis weit über dem Wettbewerbsniveau. Somit können sich die Agenturen selbst im Wettbewerbsumfeld positionieren und ihre Preise so weit nach unten korrigieren, bis die Ampel auf Grün umspringt.
Ähnliche Verfahren sind schon seit längerem aus dem Handel bekannt, wenn große Unternehmen die Preisgestaltung ihrer Lieferanten überprüfen wollten.
Wenngleich das Unternehmen RAG mit diesem Projekt Vergleichbarkeit zwischen den vielen Anbietern herstellen möchte, sieht die Seite der Kreativen in diesem Projekt einen Abgesang auf die Qualität, da die Auswahl, so die Werber, nur noch auf dem Preis basiere.
Ganz gleich, ob es sich um das Ranking von Kreativität oder Preisen handelt – die Unternehmen suchen Sicherheit in der Vergleichbarkeit, um die Angebotsvielfalt zu managen. Werbeagenturen und Medienanbieter sind dabei, die vom Ökonomen Schumpeter geforderte kreative Zerstörung althergebrachter Strukturen der Marketingkommunikation allein den Unternehmensberatern zu überlassen. Damit greift die Zusammenarbeit von Unternehmen und Unternehmensberatungen nach der Produktions- und Verwaltungsorganisation auf die Kommunikationsstrategien über. Die Controller werden die eigentlichen Kreativen.
II/4. Bild statt TextEine gute Kampagne lebt von einem Konzept, einem guten Text und einem hervorragenden Bild, so die Lehrmeinung. Dieser Erfahrungssatz scheint heute allerdings nicht mehr die goldene Regel des werblichen Erfolgs zu sein. Das letzte Anzeigenjahr signalisiert einen Trend, der deutlich in eine andere Richtung weist. Nicht mehr der Text steht im Mittelpunkt vieler Anzeigen, sondern allein das Bildmotiv als Key Visual, ergänzt durch die Marke und den Hinweis auf die Internetadresse.
Die Headline weicht dem Produkt, der Text weicht dem Bild. Bei BMW gibt es keinen Text mehr, sondern das Auto selbst wird in Anführungszeichen gesetzt. Auf den Motiven von TUI ist lediglich noch das Logo des Unternehmens zu sehen, Campina vermittelt allein über das Foto die ganze Philosophie des Produktes und Puma setzt nur noch ein kurzes „Hello“ in die Anzeige. Dieser ikonografische Stil – Marke plus Bild – war bisher allein den Modelabels wie Dior, D&G, Prada oder H&M vorbehalten. In der Mode galt schon lange die Ästhetik der Bilder als alleinige Werbebotschaft.
Die Verlagerung der Botschaften von Wort zu Bild macht Sinn, da die Deutschen immer weniger lesen. In einem Spiegelartikel sprach der Geschäftsführer des wissenschaftlichen Fachverlages UTB, Volker Hühn, sogar davon, dass den Studenten das Verarbeiten von komplexen Inhalten schwerer als vor noch 20 Jahren fallen würde. Sie seien durch die parallele Mediennutzung ungeduldiger und oberflächlicher beim Lernen geworden, folglich müssten mehr Bilder und Grafiken eingebaut werden. Auch die abnehmende Reichweite von Büchern belegt die zunehmende Leseabstinez: Bei den 20- bis 29-jährigen ist sie von 2000 bis 2003 von 73,6% auf 59,6% gefallen. Mit diesem Problem werden sich auch die Tageszeitungen und Magazine auseinanderzusetzen müssen.
Die Macht des Visuellen hat die Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004 in Südostasien, die am besten bildhaft dokumentierte Katastrophe der Mediengeschichte, verdeutlicht. Nur zwei Stunden nach der Katastrophe sah die Welt bereits die ersten Bilder der Zerstörung. Digitale Bildmedien, wie Videokameras und Fotohandys, in den Händen von Privatpersonen und das Internet als Vertriebssystem, haben die professionelle Berichterstattung verändert. Mediennutzer und Konsumenten glauben an das, was man sieht. Das Bild zeigt es so, wie es ist, unmittelbar und authentisch. Ein Text ist interpretationsbedürftig und verliert durch die Bearbeitungsphase zu schnell an Aktualität. Die Werbung ist bereits dabei, diesen Paradigmenwechsel zu vollziehen.
Während der werbliche Printbereich durch die Bildlastigkeit emotionaler geworden ist, verlagert sich die informellere Seite in den Onlinebereich. Der Konsument „geht ins Netz“, um zu recherchieren und sich zu informieren. Ob es sich um Preisvergleiche, Produktsuche oder einfache Informationsbeschaffung handelt.
Print-Werbung wird von der Information entlastet. Sie wird zum emotionalen Anker oder dient dem Aktionsverkauf.
II/5. Ästhetik statt TechnikSchaut man sich die Kampagne des Mercedes CLS genauer an, so erinnert diese Art der Fotografie eher an eine Model-Fotostrecke aus einem der Laddism-Magazine wie FHM oder MAXIM, als an eine Autopremiere von DaimlerChrysler. Die roten Limousinen CLS verkörpern Sex-Attribute. Die ästhetisch fotografierten und lasziv in Szene gesetzten Wagen suggerieren etwas Menschliches, wie eingeölte Körper. Das Fortbewegungsmittel wird zum Fetischobjekt. Das Bild transformiert vom Abbild des Wagens zum Vorbild für die Sehnsüchte der Konsumenten.
Ähnlich wie bei den Autoanzeigen, lässt sich diese Erotisierung der Produkte auch bei anderen Branchen wieder finden. Die Fotoästhetik wandert aus der Mode in andere Bereiche. So erinnert die Werbung des Wasserherstellers Contrex und die Bierkampagne von Warsteiner, die das Etikett gleich noch in Form eines Bikinis darstellt, bewusst an erotische Fashion-Aufnahmen.
Bildbearbeitungsprogramme der digitalen Fotografie haben das klassische analoge Bildgebungsverfahren nahezu abgelöst. Ein Foto ist nicht mehr ein einmalig belichtetes und nicht mehr veränderbares Medium, sondern ist variabel und wird zum Rohstoff der nachträglichen Bildoptimierung. Das klassische Handwerk des Fotografen entwickelt sich mehr und mehr zur Aufgabe eines Art-Direktors. Der Fotograf als künstlerischer Held der eigenen Bilder weicht dem Gestalter von Sinnbildern in der Postproduktion.
II/6. Markenmedien statt MedienmarkenWenn es eng wird auf dem Markt, sucht man sich gern ein neues Plätzchen, um frisches Geld zu verdienen. Das ist wirklich nicht neu. Für die journalistische Verlagsbranche war es jedoch ein Sakrileg. Herrschte doch der Glaubenssatz vor, dass Tageszeitungen und Magazine dem journalistischen Ethos verpflichtet seien, und einen gesellschaftlichen Auftrag hätten. Diese Sonderstellung, so nahm man für sich in Anspruch, würde sie grundsätzlich von den Markenartikeln der Konsumgüterbranche unterscheiden. Mit dem Zusammenbruch der Anzeigenmärkte, nach dem Platzen der Spekulationsblase an den Aktienmärkten der New Economy, wurde zwangsweise umgedacht. Man besann sich auf die Kraft der Marke, von der die Markenartikler schnell drehender Konsumgüter immer geredet hatten, und übernahm ihre Idee des Brand Stretching. Aus Medienmarken wurden Markenmedien.
Es war die Süddeutsche Zeitung, die mit feuilletonistischem Geschick die Aldisierung der Buchbranche beschloss. Begleitet von einer massiven Anzeigenkampagne, überwiegend im eigenen Blatt, wurde eine Bibliothek der 50 besten Romane des 20. Jahrhunderts angepriesen. Die zum halben Preis von Taschenbüchern hervorragend ausgestatteten Hardcoverbände wurden für 4,90 Euro angeboten. Eine kontinuierliche Unterstützung im redaktionellen Teil der Zeitung sicherte diesem Marketingkonzept die Sensation von gut 10 Millionen verkauften Büchern, und erlöste 2004 damit mehr als 20 Millionen aus diesem Nebengeschäft.
Ein Kanibalisierungseffekt der Buchverlage war der Kollateralschaden. Der Umsatz von Taschenbuchverlagen fiel teilweise um über 30 Prozent. Die Vertikalisierung der Wertschöpfungskette, von IKEA und H&M vorgelebt, wurde modifiziert und vom Produkt bis zur Vermarktung alles im eigenen Haus selbst organisiert. Die kritische Distanz der Redaktion zu den Objekten der Begierde wurde als Verkaufsförderungsmaßnahme aufgehoben. Jedes neue Buch bekam mit einem redaktionellen Beitrag eine hausinterne Würdigung.
Erfolg macht mutig. Mit einer folgenden CD-Edition des hauseigenen Feuilleton-Stars Joachim Kaiser wurde der nächste Schritt gewagt. Am Tag des Zusammenbruchs des Karstadtkonzerns kündigte die Süddeutsche Zeitung ihre neuen CD-Produkte als erste Meldung auf der Titelseite an, vor dem dramatischen Arbeitsplatzverlust des Handelskonzerns. Die Lust, selbst als Händler Gewinn zu machen, schuf ein neues Weltbild für die vierte Macht im Staate. Aus dem Selbstverständnis des Journalismus, die öffentliche Kontrolle des Gemeinwesens zu sein, wurde die Aufgabe, die werbliche Flankierung eines Marketingerfolges sicherzustellen. Für 2005 ist eine DVD-Edition „Süddeutsche Zeitung Cinemathek“ geplant, die 30 Millionen EUR erwirtschaften soll.
Dass die BILD-Zeitung zusammen mit dem Weltbildverlag zu Weihnachten eine Volksbibel auf dem Markt brachte, war die konsequente Antwort eines Konkurrenzverlages. Brillant war allerdings, dass es dem Verlag und Chefredakteur Kai Diekmann gelang, dem Papst das Buch der Bücher öffentlich zu überreichen und damit die Verkaufsoffensive auf die Titelseite des größten deutschen Zeitungstitel zu bringen. Ein Traum für jeden Marketingdirektor.
Werbeplattform eigener Produkte, die dort als allgemeines Kulturgut beworben werden.
Fazit: Der Kreis von Marketern und Medien scheint sich zu schließen.
Werbung wandelte sich 2004 zum Bildjournalismus und journalistische Printangebote werden selbst zur Produktwerbung.