DAS LEADAWARDS SYMPOSIUM
Foto-Trends 2005Vom Trash zur Romantik
Vortrag von Florian Illies anlässlich des LeadAwards-Symposiums 2005.
Die letzte Jahren in der Zeitschriftenfotografie waren geprägt von zwei großen Entwicklungen: Zum einen der unterkühlten Ästhetik der Düsseldorfer Schule um Andreas Gursky, die von der Kunst sehr schnell auf den Editorial-Bereich überging und innerhalb kurzer Zeit (aber für eine recht lange) dafür sorgte, dass Pradashops, Klosterbibliotheken und koreanische Flughafenhallen von Wallpaper bis zu Brandeins meist menschenleer und eisgekühlt daherkamen. In dieses emotionale Vakuum stieß dann mit großer Wucht eine Trashwelle, für die Fotografien wie etwa die von Terry Richardson stehen, eine neue Lust auf Provokation, sexueller oder formaler Art, ein Ausreizen der ästhetischen Schmerzgrenzen, mit viel Haut, viel Senf, viel Mensch, viel Macho. Doch irgendwann gingen dann selbst The Face oder Max die Tabus aus, die noch fotografisch zu verletzen waren.
Jetzt kommt, sehr klar die Sehnsucht nach der Unverletzlichkeit zurück. Die Sehnsucht nach der Romantik. Auch hier stand die bildende Kunst wieder Pate: Nicht nur in der Malerei, sondern vor allem auch in der Fotografie hat sich eine Zartheit etabliert, eine Fotografie der Andeutung, wie es sich vielleicht am prägnantesten am Werk von Wolfgang Tillmans ablesen läßt, dessen sehr körperliche, sehr urbane Kunst zuletzt immer mehr in eine sinnliche, naturnahe Richtung tendiert. Als die Fotografiejury bei den diesjährigen LeadAwards durch die Deichtorhallen ging, an deren Wänden viele tausend Seiten aus deutschen Zeitschriften des letzten Jahres hingen, da wurde ihr sehr warm ums Herz: Wo vor kurzem noch Haut voller Poren war, sieht man jetzt zarte Schleier: Wo Muskeln waren, verhuschte Gesten; wo Plüschsofas standen, wachsen junge Birken. Vor allem die Preisträger bei der Mode-und Lifestylefotorgrafie, also die Männervorschau aus der „Achtung“, fotografiert von Jork Weisman und die Preisträgerin Christiane Wöhler mit ihrer „Sleek“-Strecke „Reality sucks“ formulieren eine Bildsprache, die sich der Landschaftsfotografie annährt und in der die Mode, um die es eigentlich geht, nur noch eine Nebenrolle spielt. So wie in diesem Genre die klassische Modefotografie auf dem Rückzug ist und sehr oft der fast märchenhaften Erzählung mit Modefußnoten gewichen ist, so ist auch die sehr maskuline Sicht oft einer offeneren, eher weiblichen Perspektive gewichen. Am deutlichsten wird dies vielleicht bei der Silbermedaillengewinnern Cellina von Mannstein: Die ehemalige Assistentin von Terry Richardson hat in ihrer Strecke „Tag beim Rennen“ erotische Symbole mit einer virtuosen spielerischen Lust inszeniert, die die Männer und die Frauen der Jury überzeugten.
Auffällig ist in diesem Jahr, dass zweimal Künstler die Goldmedaillen in zwei Fotografiekategorien gewannen. Es sind zum einen die faszinierenden digitalen Bildbearbeitungen von Andreas Gefeller, die aussehen, als hätte ein geheimer Geist aus drei Metern Höhe gesamte Wohnungen inklusive der Wände fotografiert und zum anderen die Langzeitstudien von Rineke Dijkstra, die einen jungen Soldaten der Fremdenlegion, „Olivier“, über fünf Jahre lang jeweils einmal fotografiert hat und in dessen Gesicht sich eine schmerzliche „education sentimentale“ vollzieht.
Gefellers intelligente Antwort auf die Möglichkeiten der Digitalfotografie ist ein erstes Zeichen dafür, vor welchen Herausforderungen die Magazinfotografie in den nächsten Jahren steht. Fotohandys und Digitalkameras haben für eine Explosion der Anzahl der täglich erstellten Fotografien gesorgt, das Internet hilft zudem, diese ständig wachsende Anzahl von Bildern sekundenschnell weltweit zu verbreiten. Im Moment einer visuellen Überforderung gewinnt die Zeitschriftenfotografie eine ganz neue Bedeutung. Sie hat nicht mehr das Primat auf das Bild. Aber sie hat die Aufgabe, trotz der tausend Bildern, die in den Köpfen, in den Netzen und auf den Computern existieren, wie etwa im Falle des Tsunamis in Südostasien, dennoch das eine Bild zu schaffen, in dem sich alles verdichtet: Gegenwartserfahrung, Kunst, Handwerk.
Eine andere Entwicklung unserer Zeit, dass nämlich Begriffe wie Schönheit oder Natürlichkeit durch die Möglichkeiten der Bildbearbeitung und der Gentechnik neu definiert werden müssen, findet ebenfalls ihren starken Niederschlag: Die preisgekrönte Fotostrecke von Konstantin Khudyakov spielt mit diesem Thema wie viele andere Portraitstrecken. Vor allem in der Portraitfotografie spürt man, wie die Möglichkeit und Wirklichkeit der Manipulation beim Betrachter die Sehnsucht nach dem Authentischen wachsen lässt.
Es mag auch Folge dieser Allgegenwärtigkeit der Bilder sein, dass die klassische Reportagefotografie stark im Rückzug begriffen ist. Die Jury sah sehr wenige Zeitschriften, die den Mut hatten, auf eine Bildsprache zu vertrauen, die eine Erzählung parallel zum Text baut. Die Fotografie wird immer öfter nur als Illustration eingesetzt, als Beleg eines Zitates. Und doch gab es zwei, drei sehr außergewöhnliche Beispiele für moderne Reportagefotografie: Im Jahr des amerikanischen Wahlkampfes ist es keine Bildstrecke aus der großen Politik, die alle beeindruckt hat. Sondern die Fotoserie „Meetings – Die Qual nach der Wahl“ von Paul Shambroom. Es sind Fotografien der Mitglieder amerikanischer Stadtparlamente, acht oder zehn Leute, vertieft in Debatten über Müllgebühren und Straßennamen. Und doch steckt in dieser Mikrohistorie mehr vom gegenwärtigen Amerika als in all den Fotografien, die vermeintlich die große Geschichte der Gegenwart erzählen wollen und die doch hinter der Schilderung der Gesichter und Gesten dieser unbekannten kleinen Leute weit zurückbleiben.
Den zweiten Platz gewann Brigitte Kraemer mit ihrer Fotoreportage aus einem Kinderhospital im Ruhrgebiet. Dort werden kriegsversehrte Kinder operiert und geheilt – die Bilder, die ihr dort gelungen sind, die schrecklich verunstaltete Gesichter zeigen, die trotzdem voll Lebensmut glühen und die Kinder zeigen, die ihre Zukunft schon hinter sich haben und trotzdem an die Gegenwart glauben, gehen einem nicht wieder aus dem Kopf. Auch deshalb wurde ein Foto aus Brigitte Kraemers Strecke zum Foto des Jahres gewählt.
Und eben nicht die Bilder, die das Jahr 2004 geprägt haben. Nämlich die Folterszenen aus Abu Ghraib, der Menschenhaufen mit der lachenden Soldatin. Und der Gefangene, der die schwarze Kapuze trug. Auch wenn dies die Bilder waren, die wohl auf immer im kollektiven Gedächnis sitzen werden, auch wenn dies die Bilder sein werden, die auf immer die dunkle Seite des Irak-Krieges illustrieren, konnte sich die Jury nach langer Diskussion nicht dazu entscheiden, sie auszuzeichnen. Denn das hätte geheißen, dass man auch ihren Fotografen hätte auszeichnen müssen. Und einen amerikanischen Soldaten auszuzeichen, der zumindest Mitwisser dieser Folterszenen war, wenn nicht gar Mittäter, das konnte nicht im Interesse der deutschen LeadAcademy sein.
Florian Illies ist Verleger und Chefredakteur der Kunstzeitschrift „Monopol“.
Sie erreichen ihn unter illies@monopol-magazin.de.